09 Januar 2024

Kometenhaft 02 - WG

Dienstag 13. Juni

Es schmerzt noch immer, hier weiterzumachen. Aber gleichzeitig hat sich die Menge an Frust, die ich loswerden will, nicht verringert. Also probier ich mich hiermit mal ein wenig abzulenken.

Ich war stehengeblieben, dass ich wieder in meine alte WG eingezogen bin. Das hat sich eigentlich ganz einfach ergeben, da ich ja zu Frank auch nach meinem Auszug ganz gut Kontakt halten konnte, er ist ja schließlich auch in meinem Studiengang, auch wenn wir inzwischen ganz andere Vertiefungsmodule belegen. Er hatte mir schon vor der Trennung von Vanessa berichtet, dass sich mein Nachfolger einfach nicht so richtig in die WG einleben konnte, und sich dann eine neue Bleibe gesucht hat. Der Grund war ganz einfach: Mareike.

Hm, irgendwie komm ich so nicht weiter, ich setz mal anders an. Also, unsere WG bestand aus Frank, wie schon erwähnt, mein Kommilitone, besagter Mareike, einer Ökologie-Studentin und Andrea, einer Informatikerin. Als ich zu studieren anfing, und genauso wie Frank, den ich damals noch nicht kannte, auf Budensuche ging, stellte ich mich bei Andrea und Mareike vor, die ein Semester zuvor die WG von ihren Vorbewohnern "geerbt" hatten und nun zwei neue Mitglieder suchten.

Andrea machte auf mich einen ziemlich normalen Eindruck: hübsches Gesicht, blondes nicht ganz schulterlanges Haar, T-Shirt, Jeans. Nichts Besonderes, aber auch nicht von der Bettkante zu schubsen. Mareike hingegen war die Ausgeburt einer Ökologie-Studentin wie man sie sich klischeehafter nicht vorstellen konnte. Trotz dass es schon Sommer war, und die Temperaturen deutlich zweistellig waren, saß sie in einem dicken gestrickten braunen Rollkragen-Pullover vor mir. Ihr Rock in einem primitiven Braun-Grau-Muster warf riesige Falten (wahrscheinlich hatte sie noch ein oder zwei Röcke darunter) und ließ die Beine nur erahnen, die Füße steckten in ebenso dicken Wollsocken in Erdtönen. Ihr Gesicht wurde dominiert von einer riesigen Hornbrille, war blass ausdruckslos und vollkommen ungeschminkt. Dazu kamen noch fast farblose Lippen, die ab und zu an einem heißen Fencheltee nippten (der Fenchelgeruch hing schwer in der Luft). Eingerahmt wurde das Ganze von einem stumpfen, wirren Wuschel aus braunen Haaren (brünett würde ich sie nennen, wenn sie etwas gepflegt worden wären), die lieblos auch noch weite Teile ihrer Schultern bedeckten.

Die Beiden konnten kaum unterschiedlicher sein. Andrea war freundlich, offen und geradeheraus. Mareike reserviert, ablehnend und ließ nur wenig über sich verlautbaren. Leider hatte sie das gleiche Stimmrecht wie Andrea. Aber man merkte, dass sie die Wohnung am liebsten vollkommen alleine bewohnen würde. Mein Interview lief ebenso gemischt. Andrea wollte etwas über meine Hintergründe erfahren, und was ich vom Wohnen in WGs halte und meine allgemeine Gesinnung. Mareike verwendete die gewonnenen Informationen hingegen gerne, um gegen mich zu argumentieren.

Irgendwann schließlich ging Andrea mit Mareike in Andreas Zimmer, wo sie eine mehr oder weniger heftige Diskussion führten. Die Türen in der Wohnung waren ziemlich schalldicht, und so konnte ich nur ein paar lautere Satzfetzen erwischen, die konnten jedoch leicht zusammengesetzt werden.

So war für Andrea wohl das Maß inzwischen voll, egal, wer sich vorstellte, Mareike lehnte alle Bewerber ab, oder ekelte sie schon beim Interview weg. Aber Andrea wollte nicht die doppelte Miete bezahlen und drohte ihrerseits mit Auszug. Die Aussicht, die vierfache Miete zu zahlen, war wohl schließlich für Mareike auch nicht sehr verlockend. Als die Tür endlich aufging, stürmte Mareike heraus und geradewegs in ihr Zimmer, während sich Andrea noch die Zeit nahm, mit mir die Formalitäten durchzunehmen.

Frank hatte sein Interview noch am gleichen Tag und Andrea nutzte die Gelegenheit wohl gleich aus, auch ihn in die WG aufzunehmen. Wir beide zogen dann eine Woche später ein und stellten dabei überrascht fest, dass wir im gleichen Studiengang waren. Damit waren also auch gleich ein paar Gesprächsthemen gefunden, und mit Andrea kamen wir auch sofort klar. Schnell trafen wir uns zu Gesprächsrunden in der Küche. Wir redeten, lachten, hörten Musik. Wir waren wie drei alte Freunde, auch wenn wir uns erst seit ein paar Tagen kannten.

Nur Mareike war nie dabei.

Warum Mareike so ein Gewese aus ihren Mitbewohnern macht, konnte ich nie ganz verstehen, da sie sich sowieso fast immer in ihrem Zimmer einschloss und nur wenig Kontakt zu uns suchte. Nur ab und zu sperrte sie die Zimmertür auf, ging ins Bad, oder machte sich so schnell es ging in der Küche einen Tee, oder was zu Essen und verschwand sofort wieder in ihrem Zimmer, während sie noch stichelte, dass die Küche schon wieder unordentlich war, oder dergleichen.

Man konnte ihr auch fast schon Paranoia unterstellen. Ihre Tür wurde nur für den kurzen Zeitpunkt aufgeschlossen, wenn sie hindurch musste. Selbst wenn sie sich einen Tee machte, war ihre Zimmertür zugeschlossen.

Und sie traute sich eigentlich auch nur dann in die Küche, wenn sonst gerade keiner drin war. Sie lebte ein regelrechtes Eremiten-Leben.

Andrea berichtete uns, dass sie wohl nicht immer so war. Ihre beiden Vorbewohner waren ebenfalls Ökologen und kamen mit Mareike recht gut klar (oder Mareike strengte sich bei denen an, da sie ja die Untermieterin war). Aber seit Andrea und Mareike auf dem Mietvertrag standen, änderte sich das und sie stellte Anforderungen an die Kandidaten, die kaum zu erfüllen waren. Vielleicht kam sie auch einfach nur nicht mit Veränderung klar.

Andrea und Frank hatten sich über die Zeit immer mehr angenähert und in der Zeit, in der ich mit Vanessa zusammen war, ist zwischen den beiden eine feste Beziehung entstanden, was man gelegentlich auch nachts hören kann. Der nützliche Nebeneffekt für die beiden war, dass Mareike sich nicht mehr traute, gegen die beiden etwas zu sagen, weil sie in der Mehrheit waren. Dafür bekam mein Nachfolger umso mehr ab, weswegen er schließlich auch wieder entnervt ausgezogen ist.

In unseren abendlichen Runden komme ich mir inzwischen zwar auch wie das fünfte Rad am Wagen vor, wenn die beiden kuschelnd mir gegenüber sitzen, aber sie halten sich wenigstens außerhalb ihrer Zimmer mit dem Geknutsche zurück. Vielleicht auch aus Rücksicht auf meine derzeitige Gemütslage.

Um nicht falsch verstanden zu werden: ich freue mich für die Beiden, weil sie eben auch so gut zusammenpassen, aber ihr Anblick erinnert mich eben auch an Vanessa.

Na gut, jetzt bin ich also wieder in meine alte WG eingezogen und fühle mich so allein wie noch nie. Andrea und Frank sind heute Abend mal wieder ausgegangen und werden es wohl wieder in irgendeiner dunklen Gasse machen (was mir Frank dann gerne am nächsten Tag "beichtet"), und Mareike lebt sowieso auf einem anderen Planeten.

Die Nächte bleiben derweil weiterhin schmerzhaft. Ich kann mich noch immer nicht so ganz daran gewöhnen, allein im Bett zu liegen. Und das Gekicher und andere Nebengeräusche von Nebenan machen die Sache auch nicht besser.

Mal sehen, was ich heute Abend machen kann, um nicht dauernd über Vanessa zu grübeln ...

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