05 Februar 2024

Kometenhaft 17 - Verbindungen

Samstag 9. Juli

Heute Nacht hat tatsächlich kaum jemand von uns geschlafen. Das letzte Mal, als ich auf meinen Wecker sah, war es schon halb Fünf. Kurz nach Acht hatte ich schon wieder die Augen offen, während wenigstens Vanessa noch eng an mich geschmiegt weiterschlief.

Während ich ihr Haar streichelte, starrte ich zur Decke und machte mir Gedanken um die Zukunft. Werden wir irgendwann alle Zombies? Was, wenn Vanessa sich "verwandelt"? Also zu so was wie Mareike, oder einem Zombie wird. Was mache ich mit Mareike? Kann ich sie an jemand anderen "übertragen"? Sollte ich das? Will ich das? Keine Ahnung, wie ich das nennen soll.

Irgendwann bemerkte ich, dass Vanessa wach war und wünschte ihr einen guten Morgen. Aber sie quittierte es nur mit "Ich habe Angst.". - Ich auch. - Irgendwie musste ich uns beide da rausholen und versuchte wenigstens sie aufzumuntern. Ich weiß nicht, wie glaubwürdig meine Worte waren, aber sie lächelte mich schließlich an, als ich vorschlug, etwas zu frühstücken.

In der Küche saßen schon die Anderen und frühstückten. Die Nacht hatte an ihnen allen Spuren hinterlassen, dennoch warfen Andrea und Frank uns zusätzlich böse Blicke entgegen. Mareike, die mal ausnahmsweise wieder einen ihrer hässlichen Rollkragenpullover anhatte, hatte auch noch ihre Beine angezogen, unter dem Pullover versteckt und hielt sie krampfhaft mit den Armen fest, während ihr Kopf sich gerade so hinter ihren Knien versteckte, dass sie auf den Tisch starren konnte.

"Was habt ihr mit dem armen Mädchen gemacht?" blaffte mich Andrea an. Worauf ich mir Mareike erst mal genauer angesehen habe. Das Bisschen, das ich von ihrem Gesicht sah, waren knallrot verheulte Augen und darunter ein von Tränen durchnässtes Stück ihres Rollkragenpullovers. "Ich habe sie doch nur auf ihr Zimmer geschickt!" stammelte ich. "NUR? Sie war die Einzige, die heute Nacht alleine mit ihrer Angst war!" schimpfte Andrea weiter. "Und du!" jetzt richtete sie sich an Vanessa, die ebenso entsetzt wie ich auf Mareike blickte. "Kapiers' endlich! Wegen dir hat er sie heute Nacht alleine gelassen. Du bist sein Ein und Alles, aber um Mareike muss er sich jetzt auch kümmern!"

Vanessa brach nun auch in Tränen aus, irgendwie war es wohl schon längst klar für sie. "Na los! Kümmere dich um sie! Ist OK." Sie zwang sich ein Lächeln auf während ich mir den Stuhl neben Mareike nahm.

"Na komm schon her." sagte ich so sanft ich konnte. Eigentlich dachte ich, dass sie sich an mich anlehnen würde, stattdessen sprang sie auf, setzte sich auf mein Bein, schlang die Arme um mich und drückte mir ihr Gesicht in die Schulter. "Magst du mich nicht mehr?" schluchzte sie mich an.

Ich gab mir alle Mühe, sie zu trösten und musste dabei auch noch auf Vanessa acht geben. Was jedoch alles noch schwieriger machte war, dass ich auf meinem Bein den nackten Hintern Mareikes spürte. Wie sich später herausstellte, hatte sie wirklich nur den Pullover an und sonst nichts.

Irgendwann hatte ich sie dann aber so weit getröstet, dass wir alle zusammen frühstücken und den Tag planen konnten.

Wir mussten noch den Wocheneinkauf erledigen, aber weitere Pläne stellten wir nicht auf. In der aktuellen Situation wollte keiner von uns unnötig lange draußen bleiben. Also schnell raus, einkaufen und auf direktem Weg wieder zurück.

Bald schon stellte ich fest, dass sich die Welt schneller veränderte, als ich gedacht hätte. Die Pärchen, die sich früher nur im Park vergnügten, hatten sich inzwischen wohl über die ganze Stadt ausgebreitet und zuweilen war es ihnen auch egal geworden, ob ein Gebüsch in der Nähe war, oder nicht. Ein Paar trieb es direkt in einer Bushaltestelle neben den anderen Wartenden. Interessant war jedoch, dass scheinbar kaum einer davon Notiz nahm, oder auf Abstand ging. Selbst Kinder spielten unbeirrt miteinander, ohne ihre Eltern auch nur ansatzweise zu fragen, was die beiden da taten.

Ich dachte darüber nach, was das bei mir auslöste, aber da war nichts. Gar nichts. Früher wären alle Blicke an ihnen kleben geblieben, aber nun nimmt man zwar wahr, was passiert, aber es ist, als ob man jede andere Straßenszene beobachtet.

Auch Nacktheit schien kein Thema mehr zu sein. Immer wieder lief einem eine Frau oder ein Mann vollkommen nackt über den Weg.

Im Supermarkt irritierte mich die Situation dann doch etwas: Mindestens zwei Verkäuferinnen und ein Verkäufer waren ebenso nackt wie manche Kundschaft. Woher ich weiß, das es Angestellte waren? - Sie hatten den Schriftzug und das Logo des Supermarkts auf dem Rücken, sowie ein Namensschild auf die Brust geklebt.

Jetzt musste ich einfach mal die nächste (angezogene) Verkäuferin fragen, ob das hier jetzt normal ist. Aber sie antwortete lapidar: "Was sollen wir machen? Sie weigern sich, was anzuziehen und in der aktuellen Lage sind wir froh um jede Arbeitskraft.". Dann wandte sie sich wieder ab und widmete sich ihrer Arbeit.

Ich dachte mir nur noch: "Warum habe ich mir solche Mühe gegeben, Mareike davon zu überzeugen, sich vor dem Einkauf etwas anzuziehen?"

Das was aber wirklich Aufmerksamkeit auf sich zog, war eine ältere Frau, die schimpfend durch den Supermarkt zog. "Der Herrgott wird euch alle zur Hölle schicken! Schämen solltet ihr euch!" und ähnliches schrie sie vor allem den leicht, oder gar nicht Bekleideten entgegen. Doch als wir den Supermarkt verließen, konnten wir gerade noch sehen, wie ebendiese in einen Krankenwagen verladen wurde. Anscheinend ist sie direkt vor dem Supermarkt umgekippt. Sie hatte sich wohl so aufgeregt, dass sie schließlich ihre letzte Energie verbraucht hatte und einen Kreislauf-Kollaps erlitt.

Vanessa brauchte danach noch etwas Ablenkung, wie sie sagte und wollte Bummeln gehen. Also den Einkauf in meinem Rucksack verstaut und ab in die recht leere Fußgängerzone. Viele Leute trauen sich wohl nicht mehr so recht in die Öffentlichkeit, aus Angst vor Ansteckungen. Die, die sich jedoch in die Fußgängerzone trauten, wirkten vollkommen normal, als ob es überhaupt keine Krise gibt.

Trotzdem tat es uns gut. Nicht das Bummeln, nein, Vanessa und ich gingen wieder Hand in Hand. Als Mareike meine andere Hand nahm, schaute sie zwar kurz ernst zu uns beiden rüber, ließ es aber zu und schaute sich gleich darauf begeistert wieder die Schaufenster an.

Ich dachte mir nur, was gibt es schöneres, als in Begleitung zweier hübscher Damen an der Hand durch die Fußgängerzone zu spazieren.

Bevor wir wieder nach Hause gingen, spendierte ich den Beiden noch ein Eis in meiner lieblings Eisdiele und Vanessa wirkte schon wieder deutlich glücklicher, obwohl Mareike am Tisch saß.

Andrea und Frank waren klar vor uns zurück gekommen und wieder drangen Gekicher und eindeutige Geräusche aus Andreas Zimmer. Diesmal konnte ich mich wirklich nur für die Beiden freuen. Eine Stunde später kamen sie auch mal wieder raus. Beide hatten sich jedoch nur ihre Morgenmäntel übergeworfen.

Den Rest des Tages verbrachten wir größtenteils in der Küche und überlegten, was wir mit der Situation anfangen konnten. Schnell waren wir darüber einig, dass es bei uns wohl keine weiteren Veränderungen gab, also konnten wir genauso gut auch weiterleben wie bisher.

Morgen wollen wir in den Park zum Picknicken. Vielleicht ist das Beachvolleyball-Feld frei.

Heute Abend lag ein seltsamer Geruch, fast schon Gestank in der Luft. Wie verbrannt. Aber es war nichts zu sehen. Es kam auch nicht aus dem Haus, sondern von draußen.

Ein Nachbar meinte, es rieche nach verbranntem Fleisch ....

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